Heute kommt endlich Teil 4 unseres Sizilien-Reisetagebuches. In „von Enna zum Etna“ geht es unter anderem um das Leben in der Stadt und einen Vulkan, der uns nicht will. In den „Nebenrollen“ jede Menge Fisch, mindestens genau so viel Müll und noch mehr Regen. Viel Spaß!
Mittwoch, 22. Oktober 2014
Der Tag beginnt mit dem besten Frühstück des ganzen Urlaubs. Der große Esstisch im lichtdurchfluteten Wohnzimmer von Patricia und Guiseppe biegt sich fast unter all den Köstlichkeiten. Die beiden machen so viel wie möglich selbst und das schmeckt man. Die Eier sind von ihren eigenen Hühnern, wahlweise gekocht, gebraten oder als Rührei. Natürlich selbstgemachte Marmelade, Tomaten, Gurken und Paprika aus dem eigenen Garten, sogar die Croissants hat Patricia frisch für uns gebacken. Joghurt, Käse, Wurst und Schinken sind zwar gekauft, aber auch hier bekommen wir ausgesuchte sizilianische Spezialitäten serviert. Dazu frisch gepressten Orangensaft und einen superleckeren Cappuccino. Luxus pur, den wir ausgiebig genießen.
Unsere netten Gastgeber fragen interessiert, wo wir denn heute Abend übernachten werden, und sind ganz erstaunt, dass wir das selbst noch nicht wissen. Sie können aber gut verstehen, warum wir diese „planlose“ Art zu Reisen lieber mögen als die üblichen durchgetakteten Reisepläne. Wir wollen Richtung Osten, soviel ist klar. Aber erstmal erkunden wir Enna – bei Tageslicht und zu Fuß. Der Dom ist echt klasse, auch wenn wir normal gar nicht so die „Kirchengucker“ sind. Das Castello di Lombardia aus dem 13. Jahrhundert war mit seinen früher 20 Türmen eine der größten Burgen in Sizilien. Heute hat die Ruine nur noch sechs halbwegs erhaltene Türme, aber einen tollen Rundumblick. Vom Aussichtshügel hinter dem Castello erhaschen wir sogar einen Blick auf den Ätna – oder Etna, wie er im ä-losen Italien heißt.
In den kleinen Gassen herrscht ganz normaler Alltag. Ein Schlachter schleppt ein halbes Schwein auf der Schulter Richtung Metzgerladen, Omas sitzen vor ihren Häusern beim Morgenplausch, Bauarbeiter genießen ihre Pause mit Kaffee und Panini. Fast schade, dass wir schon wieder fahren, aber andererseits lockt der Etna. Also Abschied von Enna und Patricia. Guiseppe hilft uns noch, unser Gepäck die steile Treppe runter wieder zu den Mopeds zu bringen, die brav vor dem Irish Pub gewartet haben.
Gegen 13.00 Uhr sind wir dann wieder unterwegs. Aus der Stadt rauszukommen ist sehr viel leichter als rein, wir fahren einfach nur den Berg runter und halten uns dann grob Richtung Catania. Dunkle Wolken verheißen nichts Gutes, die SS 192 dafür schnelles Vorankommen. Aber wie so oft auf Sizilien ist auch diese Straße anders als erwartet: Sie hat stellenweise nicht mal einen Mittelstreifen und wir sind die einzigen Menschen, die hier fahren. Wer wirklich schnell vorankommen will, nutzt die Autobahn nach Catania. Uns soll’s Recht sein. Die Landschaft ist ähnlich karg wie gestern, vor allem, seit wir inmitten der mittlerweile gewohnten, abgeernteten Felder von der „Hauptstraße“ Richtung Nord-Osten abgebogen sind. Beim Fotostopp an einem zerfallenen Haus im Niemandsland fällt uns auf, dass wir seit Enna noch keine Menschenseele gesehen haben. Unfassbar, dabei sind wir mitten in der Zivilisation.
Die dunklen Wolken treiben uns vor sich her. Als die ersten zögerlichen Regentropfen fallen, sind wir schon kurz vor Catania, also nehmen wir die erstbeste Hauptstraße, streifen die nördostlichen Außenbezirke der Stadt und sind wieder am Meer. Mittlerweile ist es nach 18.00 Uhr und zu den einzelnen Regentropfen gesellt sich ein heftiger Wind. In Aci Castello heißt es deshalb wieder B&B. Andrea hat ein Haus direkt am Meer und noch genau ein Zimmer frei. Nehmen wir gerne. Die anderen Gäste und er sind schon wild dabei, alles Herumliegende zu sichern, denn es wird immer stürmischer. Wir stellen die Mopeds in eine hoffentlich windgeschützte Ecke und beziehen unser Zimmer. Zwei Minuten später sind die Mopeds patschnass – es schüttet wie aus Eimern. Nochmal Glück gehabt. Der heftige Regen hält den ganzen Abend an, deswegen beschränkt sich unsere Erkundung des Dorfes auf den Weg zur nächsten Pizzeria.
Donnerstag, 23. Oktober 2014
Ich wache davon auf, dass Ralf den Raum betritt – vollständig angezogen und mit Kamera in der Hand. Er konnte nicht mehr schlafen und hat den Sonnenaufgang über dem Meer fotografiert – superschöne Bilder. Der Regen ist weg, mittlerweile scheint die Sonne, auch wenn immer noch ein kühler Wind weht. Wir entscheiden uns, noch eine weitere Nacht hier zu bleiben, damit wir heute den ganzen Tag Zeit haben für den Etna.
Also schnell frühstücken und los. Über San Giovanni La Punta und Nicolosi schraubt sich unser Weg in schönen Kurven den Berg hinauf. Unser Ziel ist das Rifugio Scapienza auf 1.900 Metern, der höchste mit Privatfahrzeugen befahrbare Punkt auf der Westseite des Etna. Wir genießen sowohl die Kurven als auch die Aussicht. Der Etna thront irgendwie majestätisch über dem Land und gewinnt eher noch an Faszination, je näher wir kommen. Lavafelder malen schwarze Schneisen in die Landschaft, wir können uns kaum satt sehen an unserer kargen und doch total interessanten Umgebung. Kurz vor dem Rifugio fängt es an zu regnen. Wir warten eine Weile ab, aber der Regen wird eher mehr statt weniger und so begraben wir unser Vorhaben, mit der Seilbahn noch 500 Meter höher zu fahren. Die Sicht ist hier schon schlecht genug und 30 Euro pro Nase auch nicht unbedingt ein Schnäppchen. Also verlassen wir die schwarze Geröllwelt schweren Herzens, morgen ist auch noch ein Tag. Die Straße runter nach Zafferana Etnea ist fast noch schöner als der Weg hinauf. Aber im Regen fahren wir lieber vorsichtig. Schade um die schönen Kurven.
Zurück in Aci Castello öffnet sich das Tor von innen, kaum dass wir den Schlüssel rausgekramt haben. Andrea scheint nur auf uns gewartet zu haben, auch wenn es erst früher Nachmittag ist. Wir pellen uns aus den nassen Mopedklamotten und trinken erstmal mit Andrea ’nen Kaffee. Auf die obligatorische Frage, was wir an Sizilien mögen und was nicht, antwortet Ralf, dass es schon sehr auffällig ist, dass hier der Müll überall in der Landschaft entsorgt wird. Andrea nickt verständig und erklärt dann, dass es sich dabei nicht um Müllentsorgung handelt, sondern um die sizilianische Art, der altehrwürdigen Kulturlandschaft einen moderneren Stempel aufzudrücken. So nach dem Motto „die Griechen haben Sizilien damals mit Tempeln dekoriert, die heutigen Bewohner nehmen dazu halt Plastik, Bauschutt & Co.“ Interessante Interpretation, wir sind erstmal sprachlos.
Da es mittlerweile nur noch wenig regnet, leihen wir uns von Andrea einen Schirm und erkunden in aller Ruhe das Dorf und das normannische Kastell aus dem 11. Jahrhundert, nach dem Aci Castello benannt wurde. Trotz dieser Sehenswürdigkeit ist hier nicht viel los. Weil es aber noch zu früh ist zum Abendessen, wandern wir am Strand entlang bis ins ähnlich verschlafene Nachbardorf Aci Trezza. Auch dieser Abend klingt bei Pizza und Rotwein aus. Besonders fasziniert uns der Pizzabelag der Kinder am Nachbartisch, die essen nämlich Pizza Pommes und Pizza Spaghetti, also sowas wie ne klassische Pizza Margherita, belegt mit Pommes oder Spaghetti. Wir schütteln uns innerlich und schlendern dann durch den Regen zurück zu unserer Unterkunft, wo wir schon mal unsere Sachen packen und dann vergleichsweise früh ins Bett gehen. Morgen wollen wir nach Catania auf den Fischmarkt, da müssen wir früher raus.
Freitag, 24. Oktober 2014
Mitten in der Nacht aufstehen ist ja nicht so meins, aber ich liebe Märkte und unser Reiseführer meint, der Fischmarkt von Catania sei unbedingt sehenswert. Also Frühstück um sieben, früher mag Andrea nicht aufstehen. Wir checken heute aus, weil unser Zimmer wieder gebucht ist, dürfen aber unsere Motorräder und Motorradklamotten noch bis heute Nachmittag hier lassen und können somit in leichter Kluft in die Stadt fahren. Busfahrkarten haben wir uns gestern schon im örtlichen Tabakladen besorgt und so stürzen wir uns entspannt in den sizilianischen Berufsverkehr. Im proppevollen Bus bekommen wir nur noch einen Stehplatz und der Geräuschpegel ist ebenso typisch italienisch wie die Fahrweise des Busfahrers. Weil Sizilianer schon morgens erstaunlich kommunikativ sind, werden auch wir gleich gefragt, woher wir kommen und wohin wir wollen. Unterhaltungen durch den halben Bus sind an der Tagesordnung, die bei uns allgegenwärtigen Menschen, die schweigend in ihr Smartphone starren, deutlich in der Unterzahl. Und natürlich achten unsere neuen Freunde auch darauf, dass wir an der richtigen Haltestelle aussteigen. Ein freundliches „Ciao e mille grazie“ und wir sind wieder an der frischen Luft.
Für den eigentlichen Fischmarkt sind wir fast etwas spät, so manche Auslage ist schon recht leer, aber es reicht immer noch, um einen Eindruck zu bekommen, wie es hier frühmorgens zugeht. Angeboten wird alles, was das Mittelmeer so hergibt – und sicherlich auch manche Delikatessen von weiter weg. Beim Zerteilen der großen Schwert- und Thunfische ist richtig Krafteinsatz gefragt und besonders appetitlich sieht das auch nicht aus. Dafür scheint der Fisch echt frisch zu sein.
Eher in meinem Element bin ich in der vegetarischen Abteilung des Marktes – Obst, Gemüse, Käse, Nüsse, Gewürze… Da macht es richtig Spaß, zu stöbern und auch etwas Proviant einzukaufen. Käse, Brot und Salami (nein, die ist natürlich nicht vegetarisch) wandern ebenso in den Rucksack wie ein paar frische Tomaten. Angesichts der vielen Leckereien haben wir nämlich spontan beschlossen, heute Abend nicht essen zu gehen.
Wir essen an einem der vielen Straßenstände und bummeln noch ein bisschen durch Altstadt und Hafen, bevor wir am frühen Nachmittag wieder in den diesmal fast leeren Bus zurück nach Aci Castello steigen.
Weil wir heute nicht mehr so weit fahren möchten, buchen wir spontan ein B&B im nur 30 Kilometer entfernten Piedimonte. Ein Erinnerungsfoto im Dorf an der Normannenfestung muss noch sein, bevor wir wirklich auf dem Weg sind. Der Himmel ist wieder mal recht dunkelgrau, aber das Wetter hält, wir werden heute nicht nass.
Piedimonte ist ein verschlafenes kleines Dörfchen, aber wir suchen trotzdem eine ganze Weile, bis wir unsere neue Unterkunft gefunden haben. Die erweist sich dafür wieder mal als echter Glücksgriff. Agata und Paolo begrüßen uns auf Schweizerdeutsch, sie haben lange in der Schweiz gearbeitet, genießen ihren Lebensabend nun aber wieder im heimischen Sizilien. Wir haben zwei hübsche Zimmer zur Auswahl, da wir heute die einzigen Gäste sind. Beide Zimmer teilen sich Küche/Aufenthaltsraum, im Kühlschrank sind Saft, Wasser, Obst und Joghurt für uns – wir dürfen nehmen, was wir wollen, natürlich kostenlos. Als Ralf mit Agata draußen klärt, ob die Mopeds so gut stehen, überreicht mir Paolo noch „ganz heimlich“ eine Flasche selbstgemachten Rotwein. Mit einem Augenzwinkern nach draußen meint er, wenn ich Ralf genug davon gebe, steht einem wunderbaren, liebevollen Abend nichts mehr im Wege. Niedlich, oder? Dann verabschieden sich unsere Gastgeber und Ralf wundert sich, wieso wir auf einmal Wein haben. Ich erzähle es ihm und er muss auch schmunzeln.
Und Paolo hat Recht, es wird wirklich ein schöner Abend, wenn auch anders, als er es im Sinn hatte. Wir machen es uns in der Küche gemütlich und genießen ein echtes Festmahl. Der Wein passt hervorragend zu unseren Leckereien vom Markt und zum Nachtisch gibt es frische Weintrauben aus dem Kühlschrank. Ein Ziel für morgen haben wir auch schon: Wir beschließen, den Etna vom Norden her anzufahren, vielleicht haben wir da mehr Glück und sehen auf der Nordseite endlich was vom Vulkan und nicht nur Lavafelder im Regen. Drückt uns die Daumen!
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