– erschienen in Wheelies, Heft 11/2008 (zum PDF) –
Mit dem Motorrad nach Portugal – das wollen Ralf und ich seit Jahren. Bisher schreckte uns die Entfernung, aber im Sommer 2007 dann die Chance: Fünf Wochen Urlaub am Stück, wenn nicht jetzt, wann dann? Einziger Wermutstropfen: Meine geliebte R 80 GS Basic, die mich bisher auf allen Reisen begleitet hat, steht mit Motorschaden in der Garage. Also wird die 1200er GS, die ich eigentlich eher zum zügigen Kurvenräubern angeschafft habe, auf die Schnelle reisetauglich gemacht.
Mein Kumpel Micha aus Siegen baut mit Ralf zusammen stabile Kofferträger, an die meine Aluboxen von der Basic passen. Die spätabends aufkommende Idee, die Koffer mit choppertauglichen Alufransen zu verzieren, setzen die beiden glücklicherweise nicht um. Die originale Plastikgepäckbrücke der GS ersetze ich durch das robustere Metallteil von der Adventure. Aus dem einschlägigen Zubehörhandel kommen Lenkererhöhung, Sportsitzbank, Sturzbügel und ein kleines Windschild für mehr Ruhe am Helm dazu. Als die 1200er im kompletten Trimm vor mir steht, kann ich es mir erstmals richtig vorstellen, mit diesem Ungetüm aus moderner Technik und Plastik – mir als bekennendem Fan der alten 2V-Boxer ja eher suspekt – in Urlaub zu fahren.
Auf bisherigen Reisen konnten wir immer den Vorteil genießen, mit zwei gleichen Mopeds und daher auch einem Minimum an Werkzeug und Ersatzteilen unterwegs zu sein. Nun wandert erstmals ein Sortiment Torx in Ralfs Werkzeugkoffer, ich packe sicherheitshalber die Bedienungsanleitung für die GS ein. Beides wird uns später noch nützlich sein. Jetzt denken wir erstmal „sicher ist sicher“, aber viel schrauben geht ja sowieso nicht bei diesem Wunderwerk der Technik.
Es geht los: Stuttgart – Südfrankreich
Mitte Juli ist es dann soweit: Der Autozug bringt uns über Nacht von Kornwestheim nach Narbonne, erspart uns so den Stress der Anreise über französische Autobahnen und macht es gleichzeitig möglich, den ganzen Urlaub mit einem Satz Reifen auszukommen. Leider hat die Bahn diese Verbindung 2008 gestrichen.
Der südwestlichste Zipfel Frankreichs ist mit seinen engen Schluchten, den vielen Höhlen mit Tropfsteinen und Höhlenmalereien, den Pyrenäen im Süden und den Cevennen im Norden nicht nur landschaftlich sehr abwechslungsreich; er verfügt auch über zahlreiche Kulturdenkmäler. Ein „Muss“ für jeden Reisenden ist die Festungsstadt Carcasonne, die ebenso wie der im 17. Jahrhundert erbaute Canal du Midi zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.
Wir besuchen Carcasonne gleich am ersten Tag und sind beeindruckt vom Erhaltungszustand dieser mächtigen Festungsanlage, die sich trotz der vielen Touristen Charme und Würde bewahrt hat. Enge Gassen und Geschichte prägen hier das Bild. Praktisch: Direkt am Haupteingang gibt es einen kostenlosen Motorradparkplatz, Autofahrer zahlen und parken weiter entfernt.
Am zweiten Urlaubstag bewegen wir uns auf den Spuren der Katharer. Diese christlich geprägte Religionsgemeinschaft entwickelte sich im frühen Mittelalter in Südfrankreich, war der katholischen Kirche bald ein Dorn im Auge und wurde mit einem jahrzehntelangen brutalen Kreuzzug erbittert bekämpft und schließlich ausgerottet. Heute ranken sich Legenden um angebliche Schätze der Katharer, weithin sichtbar sind die Ruinen der Burgen Montségur, Peyrepertuse und Quéribus – einst Zufluchtsorte für die vom Scheiterhaufen Bedrohten, heute Touristenattraktionen.
Unzählige Kurven und „Schorschs“ (in Frankreich heißen die Schluchten Gorge, was Ralf gleich eindeutscht) lassen den Weg nicht langweilig werden, allen voran die spektakuläre Galamus-Schlucht mit ihren engen überhängenden Felsenwänden und der früher fast unzugänglich mitten in die Steilwand gebauten Einsiedelei St-Antoine. Heute kann man vom Parkplatz aus dorthin wandern, wir begnügen uns in Anbetracht unserer Mopedmontur mit einem Blick aus der Ferne. Die Schlucht selbst ist per Ampelregelung über eine Strecke von fast 5 km einspurig befahrbar, für Autos mit Wohnanhänger und Fahrzeuge über 2,30 Breite oder 2,70 Höhe ist sie komplett gesperrt. Motorradfahrer werden in der Ampelwarteschlange nach vorne gewunken. So haben wir die engen Kurven für uns, ohne Gegenverkehr und bremsende Autofahrer. Fahrspaß pur, ebenso wie die unzähligen kleinen Sträßchen rund um das malerische Städtchen Lagrasse. Am Abend sind wir ganz überrascht, dass wir 230 km mehr auf der Uhr haben, trotz der vielen Stopps und Besichtigungspausen. Mein „Plastikbomber“ schlägt sich soweit ganz gut, Sorge macht mir nur, dass er nach Passagen mit intensivem Kuppel- und Bremsbedarf ziemlich nach Kupplung stinkt. Ich werde das mal beobachten.
Rund um die ersten Zweitausender
Einen Tag später brechen wir unsere Zelte im Pyrenäenvorland ab und wagen uns tiefer ins „richtige“ Gebirge. Ist es am Anfang auf der gut ausgebauten D118 von Carcasonne nach Quillan noch warm und sonnig, wird es mit zunehmender Höhe richtig kalt. Über Axat und die Gorges de St-Georges geht’s ein kurzes Stück die D117 entlang, bevor wir auf die D17 nach St. Colombe-sur-Guette abbiegen. Dieses kleine Sträßchen führt uns in genialen Kurven hoch in die Berge, ich bin froh um meine Heizgriffe und den Fleecepulli, den ich vorsorglich bei der letzten Pause angezogen habe. Erstmals rücken wirklich hohe Berge ins Blickfeld, so der La Glèbe mit 2024 m oder der Madrès mit 2469 Metern.
Auf dem Weg ins Tal wird es wieder etwas wärmer. Bei herrlichem Sonnenschein kommen wir in Prades an, wo es wegen eines lokalen Festivals keine Zimmer mehr gibt. Da es schon später Nachmittag ist, fahren wir auf der N116, die gar nicht so langweilig ist wie gedacht, Richtung Westen. In Font Romeu, einem Skiort auf 1887 Metern Höhe, finden wir ein Hotel für die nächsten zwei Tage. Hier ist im Sommer absolut tote Hose, bis auf ein paar Wanderer ist der Ort leer. Kann uns nur recht sein, wir wollen ja keine Partys. Dass Font Romeu auch eine der bedeutendsten Wallfahrtsstätten der Pyrenäen ist, erfahren wir erst später. Dafür nächtigen wir mit Blick auf ein weiteres Highlight, diesmal technischer Art.
Das Feu Solaire in Odeillo ist mit 3000 Quadratmetern Fläche der größte „Sonnenofen“ der Welt. 63 bewegliche, auf den jeweiligen Stand der Sonne ausgerichtete Spiegel fangen die Strahlen ein und werfen sie auf das Herzstück der Anlage, einen gigantischen Parabolspiegel, der im Brennpunkt Temperaturen von bis zu unvorstellbaren 3800 Grad erreicht. Warum diese zu wissenschaftlichen Zwecken genutzte Riesenanlage ausgerechnet in einem Bergdorf in den Pyrenäen gebaut wurde, ist einfach erklärt. Mit rund 3000 Stunden im Jahr scheint die Sonne hier länger als überall sonst in Frankreich.
Der nächste Tag bringt unsere erste Begegnung mit dem spanischen Teil der Pyrenäen und ein Kurvenhighlight sondergleichen: Wir fahren über Bourg-Madame nach Puigcerdà. Dort biegen wir auf die N152 nach Ripoll ab. Zuerst erwarten wir nicht viel, handelt es sich doch schließlich um eine Nationalstraße. Aber das Schild „45 km Kurven“ zaubert uns ein erstes Grinsen ins Gesicht, das dann rasch größer wird und gar nicht mehr weggehen will. Diese Straße ist der Hammer, 45 km in gutem Zustand mit Supergrip, völlig fehlenden Geraden, kaum Verkehr und gerade mal einem Dorf zwischendrin. Mir ist am Ende fast schwindelig vor lauter Kurvenwedelei. Megageil!
In Ripoll Pause, erholen und tanken, dann geht’s wieder Richtung Frankreich. Erst auf eher unspektakulären Straßen, die aber wieder kurviger werden, je höher wir in die Berge kommen. Am Pass, der die Grenze zu Frankreich markiert, macht das Fahren wieder soviel Spaß, dass ich glatt vergesse, mir den Namen des Passes zu merken. Auf französischer Seite folgt weiter Kurve an Kurve, ab und an von einem Dorf unterbrochen.
Wir halten am „Schorsch“ de la Fou an, der engsten Schlucht der Welt – sagen zumindest die Franzosen. Und bisher hat wohl aus Mangel an Vergleichen keiner widersprochen. Tatsache ist, dass die bis zu 250 Meter tiefe Schlucht teilweise so eng ist, dass der Besucher beide Felswände gleichzeitig berühren kann. Mit Helm ausgerüstet geht es zu Fuss anderthalb Kilometer tief in die Schlucht rein, bei Regen ist wegen Steinschlaggefahr geschlossen. Wir sind gerade am hinteren Ende angelangt, da fängt es auch an zu regnen, was den Weg zurück sehr erschwert – nicht wegen des Steinschlags, sondern weil die Metallgitter, auf denen man geht, bei Nässe a…glatt werden.
In Regenzeug eingepackt machen wir uns auf den Rückweg, der in einer weiten Runde über Amélie-les-Bains, Ille-sur-Tet und Prades wieder zurück nach Font Romeu führt. Die Strecke zwischen Amélie-les-Bains und Ille-sur-Tet ist unter normalen Umständen sicherlich Fahrspaß vom Feinsten, für uns bleibt sie als nass, kalt und windig in Erinnerung. Ab Prades ist es wieder trocken und sonnig, aber die Kälte in den Knochen bleibt bis zum warmen Bad am Abend.
Vom Shopping- ins Kurvenparadies: Über Andorra zum Hocharagon
Am nächsten Morgen ist das Wetter wieder eher unbeständig, trotzdem geht’s für uns weiter nach Westen. Wir hatten zuerst vor, Andorra zu umfahren, aber wenn wir schon mal da sind, wollen wir den Kommerz auch mit eigenen Augen sehen. Also nehmen wir die Haupteinfallstraße über den Col de Puymorens. Zum Glück ist wenig Verkehr, vermutlich, weil heute Sonntag ist. Das Erste, was wir vom Steuerparadies sehen, ist ein riesiges Einkaufszentrum, fast schon eine Shoppingstadt. Auf der dann folgenden Passhöhe gibt es statt der in den Alpen üblichen Hütten nur drei Tankstellen, sonst nichts. Dafür ist der Weg ins Tal schön kurvig. Wir hatten eigentlich vor, kurz nach der Hauptstadt Andorra la Vella in ein Seitental abzubiegen und über eine 18 km lange Schotterpiste nach Spanien rüberzufahren, aber erstens ist das Wetter zu unbeständig und zweitens haben wir keinerlei Lust, länger als nötig in Andorra zu verweilen.
Also bleiben wir auf der Hauptverkehrsstraße, finden an der Grenze zu Spanien wieder Shoppingcenter an Shoppingcenter und atmen erleichtert auf, als diese hinter uns liegen. Das Wetter wird besser, als wir hinter La Seu d’Urgell auf die N 260 abbiegen, der wir bis Ainsa folgen. Wieder eine Kurvenorgie, diesmal im Hocharagon, das landschaftlich einiges zu bieten hat. Die kleinen Steindörfer an den Felsen erinnern an Karl-May-Filme, ebenso wie die Landschaft drumherum. Viele der Dörfer sind jedoch dem Verfall preisgegeben, weil die Bewohner auf der Suche nach Arbeit in die Städte abwanderten. Größere Orte wie Ainsa, wo wir heute übernachten, leben mittlerweile vom Tourismus und dem nahen Ordesa-Nationalpark. Die mittelalterliche Altstadt ist wohl eine der schönsten im Hocharagon, was wir nach einem abendlichen Bummel bestätigen können.
Am nächsten Morgen wollten wir eigentlich durch den Ordesa-Nationalpark mit seinen berühmten Dreitausendern weiter nach Westen, aber über Nacht ist das schlechte Wetter auch hier angekommen. Da der Wetterbericht für die nächsten Tage ebenfalls nichts Gutes verheißt, planen wir kurzerhand um und fahren schnurstracks nach Süden, raus aus den Pyrenäen und in zwei Tagen quer durch Spanien Richtung Portugal.
Da wir auf dieser Route an Madrid vorbeikommen, besuchen wir gleich die dortige BMW-Niederlassung und lassen den Plastikbomber checken wegen des Kupplungs-Geruchs. Die lakonische Auskunft: Mit soviel Gepäck und auf schlechten Straßen sei das nicht unüblich. So lange die Kupplung nicht rutsche, könne ich bedenkenlos weiterfahren. Bei starker Geruchsentwicklung solle ich einfach ne Pause machen zum abkühlen. Bleibt mir nichts anderes übrig, als dem Ratschlag der Jungs zu folgen, auch wenn ich eigentlich gehofft hatte, die können das reparieren.
Naja, wir zucken die Achseln und nehmen die Autobahn für die letzten 400 km nach Portugal. Was das südwestlichste EU-Land dem Motorradreisenden zu bieten hat, lest ihr im zweiten Teil dieser Reportage.
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