Wer von Europa aus über Land nach Nepal möchte, fährt meist durch Pakistan. Dafür gibt es exakt zwei Routen: entweder durch den Iran nach Südpakistan oder von Kyrgyzstan aus über China nach Nordpakistan. Wir haben uns für „Crossing China“ entschieden – ein Abenteuer, das schon lange vor der eigentlichen Einreise am 3. September beginnt.
Warum China und nicht Iran?
Wir haben im Vorfeld beide Routen recherchiert und Iran/Südpakistan wäre vermutlich einfacher, auf jeden Fall aber billiger gewesen. Den Iran hätten wir auch sehr gerne bereist, das Problem ist der Süden Pakistans. Wegen der Sicherheitslage in Belutschistan ist dort für ausländische Touristen ein bewaffneter Guide obligatorisch. Den stellt die pakistanische Regierung zwar kostenlos, aber allein der Gedanke, einen Typen mit Kalaschnikow im Anschlag auf dem Sozius sitzen zu haben, war und ist für uns echt befremdlich. Die Berichte anderer Reisender steigern die Lust auf diese Route auch nicht unbedingt. Wir möchten weder alle 50 bis 100 Kilometer anhalten und ewig warten, weil der Beschützer wechselt, noch abends zu unserem eigenen Schutz im Hotelzimmer eingesperrt werden. So gesehen ist China als Alternative plötzlich fast verlockend und wir stürzen uns schon im Oktober 2017 in die Vorbereitungen für „Crossing China“.
Bürokratie auf einem neuen Level
Ohne Guide und Gruppe geht gar nix
Um China mit dem eigenen Fahrzeug befahren zu dürfen, braucht man einen Guide und eine Gruppe – allerdings keinen bewaffneten Beschützer wie in Südpakistan, sondern vielmehr einen Führer durch den Bürokratiedschungel. Dass der wirklich notwendig ist, können wir im Nachhinein bestätigen, denn der chinesische Amtsschimmel toppt alles, was wir bisher erlebt haben. Alleine würden wir wohl heute noch irgendwo in einem Ganzkörperscanner stehen und uns nach Anweisung der Beamten von rechts nach links und zurück drehen 😉
Die Regularien lesen sich im Vorfeld schon fast unüberwindbar. Unter anderem brauchen wir eine temporäre Fahrerlaubnis, chinesische Nummernschilder für die Mopeds und verschiedene Permits für alles und nichts. Weil sich das in der Gruppe leichter ertragen und vor allem auch leichter finanzieren lässt, suchen wir über Facebook nach Gleichgesinnten und haben schon im November eine internationale Gruppe zusammen. Deren Zusammensetzung ändert sich zwar noch mehrfach, aber klar ist, wir sind eine große Gruppe. Über die Strecke herrscht ebenfalls Einigkeit. Wir möchten den kürzesten und damit billigsten Weg von Kyrgyzstan nach Pakistan: Das sind rund 650 km durch die Provinz Xinjiang und ein Zeitaufwand von fünf Tagen. Kostenpunkt: 820 US-Dollar pro Nase, immerhin inklusive Hotels. Also garantiert kein Schnäppchen, dafür aber ohne militärische Beschützer.
Im Vorfeld chaotisch, vor Ort effizient: unsere Guide-Agentur West China
Lukasz aus Polen holt Angebote verschiedener Agenturen ein und wir wählen auf seine Empfehlung hin West China. Im Nachhinein eine gute Entscheidung, auch wenn das mangelnde Kommunikationstalent unseres Ansprechpartners Adi uns in der Orga-Phase mehr als einmal den letzten Nerv raubt. Heute Hü, morgen Hott und übermorgen ist wieder alles ganz anders. Viel Arbeit vor allem für Lukasz, der für die Gruppe den Kontakt zu West China hält – danke dir nochmal dafür.
In China selbst machen sowohl Adi als auch unser Guide Sadik einen hervorragenden Job. Weil sie den Papierkram so gut vorbereitet haben, können sie viele Regularien umgehen. Wir brauchen uns weder um Fahrerlaubnis noch Nummernschilder zu kümmern und haben am Ende sogar einen freien Tag in Kashgar.
Crossing China – das Abenteuer beginnt
Drei Stunden Warten am Bordergate – weil die Chinesen Mittagspause machen
Letztendlich sind wir 13 Personen aus Deutschland, Holland, England und Spanien, die am 3. September am kirgisisch-chinesischen Grenzübergang Irkeshtam stehen, elf Motorräder und zwei spanische Brüder in einem alten Mercedes-Transporter. Die Ansage von West China war, dass wir Sadik um 12 Uhr am Bordergate treffen sollen. Weil die Ausreise aus Kyrgyzstan reibungslos klappt, stehen wir dort bereits um 11.30 Uhr – keine Spur von unserem Guide. Auch das Gate bleibt für uns geschlossen, weil die Chinesen erstmal bis 15.00 Uhr Mittagspause machen. Das hätte West China besser wissen müssen, so die einhellige Meinung der Gruppe. Aber wir können’s nicht ändern, fügen uns in unser Schicksal und verbringen die Wartezeit mit Essen, Schwätzen und Backgammon. Zum Glück passt das Wetter – im Regen wäre das kein Spaß, hier vor dem Tor zu stehen.
Scannen Part 1 am Grenzposten in Irkeshtam
Die erste Aktion, als das Tor aufgeht: Pass zücken, brav in Reih und Glied aufstellen und alle Informationen händisch in ein Buch eintragen lassen. Dann dürfen wir als Gruppe weiterfahren zu einem größeren Gebäude, wo wir endlich unseren Guide Sadik treffen. Mopeds abstellen, nochmal Pässe zeigen und erstmal ab in die Scanner. Der erste ist ein ganz normaler Flughafenscanner, wo lediglich das Stiefelausziehen nervt. Scanner 2 ist ein Container, wo man nach Anweisung von allen Seiten fotografiert wird. Für den Gepäckscanner meint Sadik, einfach ein Gepäckstück nehmen, damit die Beamten glücklich sind, nicht das ganze Moped abpacken. Er warnt uns besonders eindringlich, wir sollen unsere Messer verstecken. Aus irgendeinem Grund haben die Chinesen panische Angst vor handelsüblichen Schneidwerkzeugen. Selbst Küchenmesser sind verboten. Also Messer gut am Moped verstecken.
Scannen Part 2: Smartphones und Mopeds
Grenzwertig ist der nächste Part: Smartphone entsperrt abgeben, damit die Chinesen eine Spyware aufspielen und die Inhalte durchsuchen können. Da wir das im Vorfeld wussten, haben wir die Handys je nach Naturell und Laune präpariert. Es wurden Kontakte, Fotos und persönliche Infos gelöscht, komplett neue Google-Konten ohne Inhalt installiert oder wahlweise jede Menge anzügliche Fotos und Videos aufgespielt, um die Grenzer zu erfreuen/verwirren. Insgesamt waren die Handys über eine Stunde weg und kamen mit einer Software zurück, die wir gleich wieder gelöscht haben – hoffentlich vollständig. Seitdem fehlt leider auch mein Anrufbutton. Der enthielt zwar garantiert keine schädlichen Inhalte, aber verstehe einer die Chinesen.
Während der Wartezeit auf die Handys zeigt Sadik zum ersten Mal, was er kann. Er überzeugt die Grenzer, zwei Prozesse parallel laufen zu lassen, und so heißt es jetzt für die Mopeds ab durch den Scanner. Der steht in einer Halle und kann alles bis zum LKW scannen, denn auch die werden durchleuchtet, wenn sie nach China einreisen möchten. Wir müssen uns in genau der Reihenfolge der Namen auf Sadiks Zettel aufstellen. Beim ersten Mal dürfen sechs Mopeds gleichzeitig rein, beim zweiten Mal die anderen fünf, brav im Abstand von jeweils 1,5 Metern hintereinander, der spanische Van kommt zum Schluss. Auch wenn in jedem Fahrzeug mindestens ein Messer versteckt ist, kommen keine Beschwerden. Als auch die Handys wieder da sind, bricht schon fast die Dämmerung herein. Sadik drängt zur Eile und wir reihen uns hinter seinem Auto ein, um zum Zoll nach Ulugqat zu fahren – 100 km weiter ins Landesinnere.
Auf zum Zollhof nach Ulugqat
Leider ist der Van ziemlich langsam und wir müssen vor jedem Polizei-Checkpoint auf die Spanier warten. Macht aber nix, denn die Checkpoints dauern ohnehin ewig. Interessant finde ich, dass sie auch für Einheimische gelten. Die ziehen aber einfach nur ihren Ausweis durch den Scanner und gehen wieder zu ihren Autos. Mit unseren Pässen sind die Scanner überfordert, also wird jedesmal alles mit dem Handy abgescannt und händisch in eine Liste eingetragen. Bei 13 Personen dauert das natürlich ewig, auch wenn Sadik alles gibt, um die Sache zu beschleunigen. Denn die Beamten können weder mit unseren Buchstaben umgehen noch wissen sie, welche Information wo im Pass zu finden ist.
Als wir endlich im Zollhof ankommen, ist es stockdunkel und keine Menschenseele mehr zu sehen. Aber Sadik reaktiviert die Jungs, die zum x-ten Mal unseren Ausweis kontrollieren. Wir müssen eine Einreisekarte ausfüllen und bekommen endlich unseren Stempel in den Pass, sind also jetzt offiziell in China eingereist. Unsere Mopeds kommen erst morgen dran. Sie müssen heute Nacht im Zollhof schlafen und trotz der späten Stunde noch eine Sprühdesinfektion über sich ergehen lassen.
ChiChi JoJo – hoch lebe der Kontrollwahn
Für uns heißt es umsteigen: Weil Sadiks Kleinbus nur neun Personen fasst, erwartet uns Adi von West China ebenfalls im Zollhof. Axel, Suse, Ralf und ich fahren mit ihm im PKW. Wir sind müde, fertig und vor allem hungrig. Seit dem Frühstück und ein paar Snickers am Bordergate hatten wir ja nichts mehr. Unsere Hoffnung, schnell im Hotel zu sein, stirbt aber bereits am Ausgang vom Zollhof – schon wieder ein Polizei-Checkpoint und schon wieder werden unsere Pässe mit dem Handy abgescannt und händisch in ein Buch eingetragen. Wir wissen ja jetzt schon, dass das ewig dauert und weil nach müde albern kommt, lachen wir uns halbtot, weil die Beamten ständig ChiChi JoJo rufen. Das heißt wohl einfach 11 99 und ist irgendein Prozesscode, wird für uns aber zum Inbegriff für diesen ganzen absurden Kontrollwahn, den wir bis jetzt erlebt haben.
Endlich im Hotel
Zwei Checkpoints später und weit nach Mitternacht sind wir endlich im Hotel. Adi hat Bescheid gesagt, dass der zum Hotel gehörende Night Market offen bleiben soll, damit wir noch etwas zu essen bekommen. Es gibt nur noch Spieße, sehr scharf gewürzt und zum Glück auch vegetarisch. Axel, Suse und Ralf stürzen sich auf das kalte Bier. Ich muss leider feststellen, dass China auch eher Pepsi- als Coca-Cola-Land ist. Die Jungs in Sadiks Kleinbus kommen erst an, als wir schon fast mit dem Essen fertig sind, denn sie hatten noch eine weitere Verzögerung auf dem Weg. Um Mitternacht war die Lenkzeit des Fahrers überschritten und er durfte am letzten Polizei-Checkpoint nicht mehr weiterfahren, so dass Sadik Taxis bestellen musste für das letzte Stück zum Hotel. Wir sitzen mit der ganzen Gruppe noch auf ein paar Bier zusammen und sind erst gegen halb vier im Bett. Was für ein Tag!
Crossing China, Tag 2: Mit den Mopeds nach Kashgar
Crossing China, Tag 2: Trotz nur wenig Schlaf heißt es heute früh aufstehen. Wir wollen pünktlich um 11 Uhr Peking-Zeit in Ulugqat sein, wenn der Zollhof öffnet. Das bedeutet 9 Uhr Kashgar-Zeit mit 80 km Fahrt dahin. Also ein frühes Frühstück.
In Ulugqat angekommen, verschwinden Sadik und Adi im Zollgebäude, wir verzurren überzähliges Gepäck, verstecken Messer und erwarten die gestern angekündigte „richtige“ Zollkontrolle der Mopeds. Das Scannen an der Grenze war laut Sadik nur Vorgeplänkel. Aber Wunder, oh Wunder, die Mopeds werden gar nicht mehr kontrolliert. Wir müssen lediglich unsere Pässe nochmal zeigen, dann dürfen wir fahren.
Die beiden Checkpoints auf dem Weg nach Kashgar kennen wir ja schon, da interessiert sich keiner für unsere Mopeds, nur zum x-ten Mal für unsere Pässe. Den Scanner können wir diesmal ignorieren, da haben die Beamten wohl noch lebhaft in Erinnerung, dass es nur Probleme gibt. Dafür müssen wir so lange warten, bis Sadik sie überzeugt hat, dass seine Liste alle gewünschten Infos aus unseren Pässen enthält. Obwohl wir gestern schon mal hier waren, muss dies natürlich erneut verifiziert werden. Dazu werden unsere Pässe eingesammelt und akribisch mit der Liste verglichen, während wir in Mopedklamotten schwitzend warten – ChiChi JoJo in Bestform…
Tanken in China – ein Abenteuer für sich
In Kashgar müssen wir tanken, was in China – wen wundert’s – mit viel Bürokratie verbunden ist. Tankstellen sind Hochsicherheitsbereiche mit geschlossenem Stahltor und Stacheldraht wie auf Gefängnismauern. Wer tanken möchte, muss beim Wachmann vor dem Tor seinen Ausweis einscannen lassen, dann wird das Tor geöffnet und er darf reinfahren. Motorräder dürfen gar nicht in Tankstellen tanken, da kommt der Sprit in so riesige Blumengießkannen und wird vor die Tanke getragen. Wir haben aber Glück und dürfen rein, weil Sadik die Wachleute vor der Tanke belabert (und die Leute da drinnen wohl auch neugierig auf westliche Mopeds und deren Fahrer sind).
Der spanische Van hat genug Sprit an Bord, um in China gar nicht tanken zu müssen, was Sadik verständnislos zur Kenntnis nimmt, nicht ohne vorher drei Mal zu fragen, ob sie wirklich nicht tanken wollen.
Als die Mopeds endlich am Hotel stehen und wir wieder Zugriff auf unsere Siebensachen haben, atmen wir alle erleichtert auf. So weit, so gut. Nachdem wir auch noch Adi bezahlt haben, haben wir den Rest des Nachmittags und den kompletten dritten Tag Zeit, Kashgar zu erkunden.
Seidenstraße trifft Moderne – unterwegs in Kashgar
Kashgar war früher Startpunkt der Karawanen über die Seidenstraße und dieses Flair spürt man in den engen Gassen der Altstadt heute noch.
Man kommt sich eher vor wie auf einem orientalischen Basar als in einer chinesischen Stadt. Unterstützt wird dieses Gefühl durch die Tatsache, dass die meisten Menschen in keinster Weise chinesisch aussehen. Was wiederum klar wird, wenn man weiß, dass in ganz Xinjiang kaum Chinesen leben, sondern vor allem Uiguren, ein überwiegend muslimischer Turk-Volksstamm, den ich bis jetzt noch gar nicht kannte. Neun Zehntel aller Uiguren leben laut Wikipedia in China und werden von der Regierung scharf kontrolliert.
Polizisten, wohin man schaut
Daher gehören Polizisten hier zum Stadtbild, ich habe echt noch nie so eine starke Polizeipräsenz erlebt wie in Kashgar. Es gibt fast an jeder Straßenecke Polizei-Checkpoints, wo die Einheimischen ihren Pass zeigen müssen – um diese Straße betreten zu dürfen, wohlgemerkt. Chinesen und Touristen dagegen werden nicht kontrolliert.
Security ist eh ein Riesenthema in Kashgar: Jedes noch so kleine Geschäft hat eine Stahltür mit Gitterstäben, die abgeschlossen ist. Einfach so einen Laden betreten geht also nicht. Zuerst dachte ich, die Geschäfte seien geschlossen, aber sobald man vor der Gittertür stehen bleibt, kommt von drinnen jemand, der sie aufmacht. Vor größeren Geschäften, Restaurants und Einkaufszentren gibt es sogar Schleusen wie am Flughafen und Sicherheitsleute, die einen abtasten.
Die Sache mit den Messern
Dass die Regierung panische Angst vor Messern hat, habe ich ja schon geschrieben. Man darf nicht mal Küchenmesser einführen und im Haushaltswarenladen kann man auch keine Messer kaufen. Okay, die Besteckabteilung besteht eh fast nur aus Stäbchen, aber es gibt auch Gabeln und Löffel, nur eben keine Messer. Sadik meinte, für Einheimische gibt es spezielle Messerläden, die wieder besonders gesichert sind. Dort kann man wohl gegen Vorlage des Ausweises pro Haushalt einige wenige Küchenmesser kaufen, die aber registriert werden, so wie bei uns Waffen. Selbst in den Restaurants, wo die Jungs das Fleisch für die allgegenwärtigen Kebab-Spieße schneiden, sind die Messer angekettet. Ist echt der Hammer, oder?
Kashgar modern – der totale Overflow
Andererseits ist Kashgar für mich nach Kyrgyzstan, wo es ja eher ruhig und beschaulich zuging, der totale Overflow – sowohl an Eindrücken als tatsächlich auch an Menschen, Geschäften und Waren. Ich war z.B. in einem Supermarkt, da habe ich kaum wieder herausgefunden. Total riesig, irre viele Menschen, wahnsinnig laut und es gab wirklich alles – bis auf Messer natürlich. Allein die Obst- und Gemüseabteilung war ein Traum und mindestens doppelt so groß wie die meisten kirgisischen Supermärkte im Ganzen.
So viele Klamottenläden gibt es selbst bei uns nicht auf einem Haufen – ich will glaub ich gar nicht wissen, wie es in Peking zugeht, Kashgar ist ja noch eine kleinere Stadt. Selbst das Essen ist der totale Gegensatz zu den letzten Monaten. Für unsere Verhältnisse ist alles megascharf, aber lecker. Und Gläser mit knusprigen Würmern und so Zeug habe ich auch nur in einem Laden gesehen 😉
Crossing China, Tag 4: Auf geht’s Richtung Pakistan
Am Donnerstagmorgen heißt es wieder mal früh aufstehen, Punkt 6.45 Uhr ist Abfahrt Richtung Pakistan. Unser Ziel für heute ist Tashkurgan, wo morgen die Ausreiseformalitäten stattfinden. Sadik fährt bei den Spaniern im Van mit, von Adi haben wir uns gestern schon verabschiedet. Durch die Stadt folgen wir brav wie die Entchen dem schleichenden Van, danach lässt Sadik freies Fahren zu. Es gibt eh nur die eine Straße Richtung Pakistan, verfahren kann sich also keiner. Wenn wir an einem Checkpoint ohne ihn nicht durchkommen, sollen wir halt warten.
Erstmals seit Betreten dieses Landes stellt sich wieder so etwas wie ein Gefühl von Freiheit ein, ganz ungewohnt. Das Wetter ist ziemlich durchwachsen, die Straße teilweise nass, aber es ist klasse, so ganz allein durch China zu fahren. Die Gruppe zieht sich weit auseinander und trifft sich höchstens an den Checkpoints mal wieder, weil jeder nach Gutdünken anhält, um Fotos zu machen.
Schließlich sind Ralf und ich allein auf weiter Flur. Je höher es geht, umso kühler wird es, also halten wir an, um etwas anzuziehen – und sind sofort umringt von einer Meute chinesischer Touristen, einer schriller als der andere. So viele Selfies in so kurzer Zeit haben wir bisher nirgendwo machen müssen und wir sind mittlerweile echt daran gewöhnt, überall fotografiert zu werden.
Böse Überraschung mal zwei
Die meisten aus der Gruppe treffen wir an dem großen See ca. 80 km vor Tashkurgan nochmal wieder – leider auch die chinesischen Selfie-Freunde. Aber wir nehmen’s mit Humor und nutzen die Gelegenheit, nochmal eine Schicht Klamotten anzuziehen. Mittlerweile ist es richtig kalt.
Als kurze Zeit später Ricardo einsam am Straßenrand neben seinem Moped kniet, halten wir trotz der gerade erst gehabten Pause sofort an. Irgendwas stimmt da nicht. Und richtig, die KTM verweigert den Dienst, knappe 50 km vor Tashkurgan. Alles deutet auf Motorschaden hin, also warten wir auf den spanischen Van, die KTM wird hintendran gebunden und Ricardo fährt fortan sehr spritschonend. Sadik bekommt von alldem nichts mit, er schläft im Van.
In Tashkurgan angekommen, die nächste böse Überraschung: Das Hotel entpuppt sich als „Shithole“, wie einer der Holländer treffend bemerkt. Alles ist dreckig und versifft, keiner bleibt freiwillig länger als nötig in seinem Zimmer. Doof für mich, denn ich habe mir eine fette Erkältung eingefangen, bin fix und fertig und will eigentlich nur noch ins Bett, aber nicht in diesem Dreckloch. Also ab in die Stadt, etwas zu essen finden. Für die anderen wird es ein feuchtfröhlicher Abend, Ralf und ich gehen gleich nach dem Essen zurück ins Hotel, denn er beginnt ebenfalls zu schniefen.
Das letzte Stück China: Tashkurgan bis Khunjerab Pass
Frühstück gibt es für keinen von uns, nachdem die Holländer das Restaurant inspiziert haben. Dann lieber Snickers, Cola und frisches Brot vom Bäcker ein paar Häuser weiter. Wir sind eh wieder früh dran, denn Sadik will der Erste sein beim Zoll. Leider hat er die Öffnungszeiten irgendwie falsch im Kopf, denn das Tor ist noch zu, wir dürfen eine halbe Stunde warten. Ralf ist jetzt auch richtig krank, so dass wir beide echt in den Seilen hängen. Aber hilft ja nix, wir müssen heute dieses Land verlassen und kommen hoffentlich noch früh genug in Pakistan an, um auf unter 3.000 Meter runterzufahren.
Tashkurgan Border Control
Die Ausreise ist ähnlich kompliziert wie die Einreise. Um unsere Stempel zu bekommen, müssen wir natürlich wieder durch einen Flughafenscanner, dann in einer ordentlichen Schlange vor dem Schalter anstehen. Die Mitarbeiterin weist uns zurecht wie Schüler, wenn wir zu laut sprechen, nicht brav hintereinander stehen oder es wagen, uns an die Absperrungen zu lehnen. Nicht, um uns zu schikanieren – die Mitarbeiterin ist sehr nett, aber sie sagt als Begründung immer: Hier sind überall Kameras. Daher nehme ich an, dass sie echt Ärger bekommt, wenn es während ihrer Schicht im von ihr überwachten Bereich zu unerwünschtem Verhalten kommt.
Unsere Mopeds werden lustigerweise wieder nicht kontrolliert. Wir müssen uns zwar erst in die LKW-Schlange am Riesenscanner stellen, aber dann wieder ums Haus rumfahren, 1-2 Gepäckstücke abpacken, die durch den normalen Flughafenscanner müssen, und gut ist. Ein bisschen Chaos, ein bisschen Hin- und Herfahrerei, aber okay – das war’s schon.
Mit der Ermahnung, auf dem Weg zum Khunjerab Pass auf keinen Fall anzuhalten, werden wir alleine auf die letzten 100 Kilometer geschickt. Sadik verabschiedet sich und wir sind froh, das Abenteuer „Crossing China“ hinter uns gebracht zu haben. Ab jetzt sind wir wieder normale Individualreisende, aber immer noch nicht raus aus China.
Höher hinaus als je zuvor – die letzten Kilometer zum Khunjerab Pass
Das Wetter ist immer noch eher mies und außerdem geht es nun stetig höher. Wir halten also nochmal an, um eine weitere Schicht Klamotten anzuziehen. Das geht, solange wir auf der Straße bleiben. Denn an jedem kleinsten Feldweg steht ein Aufpasser, der verhindern soll, dass jemand unerlaubt die Straße verlässt. Solche Sorgen braucht bei uns aber keiner zu haben, wir wollen einfach nur noch raus aus China.
Als die Höhenanzeige im Navi immer größere Zahlen ausspuckt, sind wir sehr gespannt, wie sich die Mopeds verhalten, da wir auf andere Düsen usw. verzichtet haben. Aber die alten Boxer bringen uns klaglos und ohne große Leistungsverluste auf den Khunjerab Pass, wo uns auf über 4.700 Meter der höchstgelegene Grenzübergang der Welt erwartet.
In Sichtweite des bekannten Friendship-Monuments versperrt uns ein letzter Checkpoint den Weg. Erstmal wieder ne halbe Stunde warten wegen Pause. Viel bewegen ist nicht, weil uns die Höhe viel mehr zu schaffen macht als unseren Mopeds. Die anderen aus unserer Gruppe sehen fitter aus, aber wir sind ja auch erkältet.
Endlich in Pakistan
Dann öffnet sich die Schranke und wir fahren durch den markanten weißen Torbogen. Ein letztes Mal werden unsere Pässe händisch in ein Buch eingetragen, wir passieren die letzte Absperrung und dann sind wir in Pakistan. Was für ein tolles Gefühl.
Einer unserer Holländer macht gleich einen Luftsprung und ruft: Yeah, we’ve made it out of the big prison alive. Da kann ich ihm nur zustimmen, so interessant China war, wir sind alle froh, diese totale Überwachung wieder los zu sein. Da wird einem erstmal klar, wie gut wir es in Europa haben, so frei leben zu dürfen.
Klares Fazit zu unserer geführten Tour durch ein kleines Stück China:
Unsere Gruppe war klasse, West China hat nach anfänglichen Schwierigkeiten einen guten Job gemacht, aber dennoch war „Crossing China“ eine Aktion, die wir in dieser Form nicht nochmal brauchen.
Super geschrieben, eindeutige u klare Bilder – einfach toll. Ein Abenteuer ohne Gleichens u eine riesen Bereicherung für jeden von euch. Macht`s juttt u wir freuen uns auf ein Wiedersehen. Ciaui
Hallo Silvester,
vielen Dank – und ja, diese Reise ist eine echte Bereicherung für uns. Wir sehen und erleben so viele Sachen, die wir uns zu Hause gar nicht hätten vorstellen können. Echt toll.
Wir freuen uns auch, euch alle im nächsten Jahr wiederzusehen.
Ciao Ralf und Birgit
Spannender Bericht über eure China-Durchfahrung. Und immer wieder interessant, wie unterschiedlich es trotz allem bei den verschiedenen Leuten abläuft, die ich kenne.
Euch nocn eine tolle Zeit und gute Besserung!
Fred
Danke dir – uns geht es schon wieder viel besser, wenn wir auch noch brav die Tabletten schlucken, die der Arzt im Krankenhaus von Skardu uns verschrieben hat. Und bei uns war es vielleicht deswegen wieder anders, weil wir mit 13 Leuten eine vergleichsweise riesige Gruppe waren.
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